Urlaub, die vielleicht schönste Zeit im ganzen Jahr. Endlich hat man einmal die Muße, sich selbst zu widmen, die Seele baumeln zu lassen, sich zu entspannen und mit Kind und Kegel am Strand zu flanieren. Dass die Realität meist anders aussieht, braucht eigentlich auch keinem gesagt werden. Das ist heute so und das war auch schon vor gut fünfzig Jahren so, als ein schlaksiger Franzose mit markantem Gang und unverkennbarer Silhouette eine Woche am Meer verbringen wollte. Gestatten, Monsieur Hulot (Jacques Tati, „Mein Onkel“, „Play Time“), die vielleicht sympathischste Filmfigur Frankreichs. So ist also dieses Phänomen des Urlaubs, mitsamt seinen teils eigenartigen Riten, das Zentrale Thema in Tatis zweitem abendfüllendem Spielfilm
Die Ferien des Monsieur Hulot.
Das Schauspiel beginnt so, wie sich unsereins den perfekten Urlaubsort vorstellt: In einer Totalen zeigt uns Tati, der in Personalunion sowohl Regisseur wie Hauptdarsteller gewesen ist, eine malerische Bucht.
Die Wellen brechen harmonisch am Strand, während das Szenario von sanften Klängen untermalt wird. Dass dieses Szenario jedoch reine Utopie zu sein scheint, wird mit der nachfolgenden Montage auf ironische Art beweisen. Erneut wird die Totale gewählt, doch die Zeit der Ruhe und Beschaulichkeit ist vorbei. Hektik ist an der Tagesordnung, denn das monotone und schier unverständliche Timbre des Bahnhofsprechers gibt die Regie für ein aberwitziges Schauspiel an: Menschenmassen hetzen von einem Bahnsteig zum nächsten, um ihren Zug ins Urlaubsglück zu erwischen. Stress pur und willkommen in der Realität.
Egal ob auf Schienen oder auf Straßen, ganz Frankreich scheint in Bewegung zu sein und so rasen auch auf den Fernstraßen die schwer beladenen Busse und Autos vorbei. Einzig ein Automobil möchte so gar nicht in das Gesamtbild passen. Es ist ein altes, knatterndes, windschiefes Cabrio, welches sich langsam aber stetig seinen Weg bahnt. Der Fahrer, Monsieur Hulot und schon nach wenigen Einstellungen hat der Zuschauer verstanden, mit welchen Stilmitteln Tati zu arbeiten pflegt. So ist es überaus charakteristisch, dass Töne in diesem und in seinen späteren Filmen eine entscheidende Rolle spielen, indem sie das visuell Dargestellte akustisch unterstützen. In diesem Fall ist es das „furzende“ Auto, welches man schon aus großer Entfernung kommen hört und auch noch den anderen Urlaubsgästen viel Freude bereiten wird. Des Weiteren erweist sich Tati als ein genauer Beobachter und seine Bildkomposition ist durch viele Totale und Halbtotale geprägt, die seinem Ensemble ausreichend Freiraum gewähren, um sich natürlich entfalten zu können.
Schnell wird man feststellen, dass in diesem Film keine wirkliche Geschichte präsent zu sein scheint. Tati lässt uns vielmehr an einer Urlaubswoche in diesem kleinen Ort am Meer teilhaben und wir beobachten das tägliche Treiben der Badegäste und natürlich Monsieur Hulot, wie dieser durch seine schon fast infantil, tollpatschige Art wie ein Farbklecks in diesem ordinären Gebilde wirkt. Es beginnt schon mit seiner Ankunft im Hotel: Beim Ausladen seiner Gepäckstücke
lässt er die Tür zum Foyer offen und die steife Meeresbrise tut ihr Übriges, um bei den Miturlaubern für Unordnung zu sorgen. Man kann Hulot aber nicht böse sein, zu sympathisch ist die Figur gezeichnet und viel zu zufällig geschehen ihm diese Missgeschickte, ganz ohne Vorsatz. Dass ist es auch, was den typischen Witz des Filmes ausmacht. Nicht Hulot selbst ist oftmals der Auslöser für Lacher, sondern erst durch die zufällige Interaktion mit den anderen Gästen entstehen diese unvergesslichen Situationen wie auf dem Friedhof, als Hulots betagtem Auto das Dach zusammenfällt und man versehentlich in einer Beerdigungszeremonie platzt und der Schlauch des Ersatzrades fälschlicherweise für einen Gedenkkranz gehalten wird.
Es werden aber auch typisch alltägliche Szenen dargestellt, die zum Schmunzeln einladen: Der ältere Ehegatte, der beim Ballspiel mit seiner Frau eher den Blick für die jungen attraktiven weiblichen Badegäste hat oder das nicht minder betagte Ehepaar, wo der Mann immer mit gebührendem Respekt hinter seiner Frau hertrottet und eher gelangweilt von den Urlaubsriten wie Muschelsammeln ist. Natürlich kommt auch die Perversion des eigentlichen Sinnes von Urlaub zum Tragen, denn auch in seiner freien Zeit ist der Mensch täglichen Ritualen unterworfen und wenn es auch nur der tägliche Gang zum Essen ist. Da sitzt sie nun, die hungrige Masse, während der Strand verweist und endlich wieder idyllisch ist. Das alles und noch viel mehr wird von der Kamera Tatis mit einem Schmunzeln eingefangen und offeriert uns ein überaus vergnüglich, sympathisches Sehvergnügen, was einzig auf Situationskomik setzt, da man auch Dialoge fast vergeblich sucht und wenn dann mal ein Wort gesprochen wird, so ist dies nicht von Bedeutung.
Doch Tati wäre nicht Tati, wenn er seinem Helden Monsieur Hulot nicht doch etwas Tiefe mitgegeben hätte. Bei all dem vergnüglichen Treiben fällt doch auch die tragische Komponente dieser Figur auf, wie sie versucht, in Kontakt mit den anderen Gästen zu treten, dazu zu gehören und doch immer wieder scheitert. Und obwohl scheinbar Sympathie zwischen Hulot und einer attraktiven Urlauberin herrscht, schafft er es nicht, den einen entscheidenden Schritt zu wagen, da ihm sein kindliches Gemüt hier im Wege ist. Einzig bei den jungen Badegästen scheint er integriert zu sein und so zeugt die Szene, in der ein Junge eines Abends auf Hulot im Speisesaal wartet, von tiefster Ehrlichkeit und Freundschaft und darf sicherlich zu den Höhepunkten des Films gezählt werden, auch wenn sie nur so kurz ist.
Jacques Tati ist mit
Die Ferien des Monsieur Hulot ein großer Wurf gelungen. So manifestiert er durch diesen Film nicht nur die Person des Monsieur Hulot, der noch in drei weiteren Filmen sein Unwesen treiben wird, sondern unterstreicht schon mit seinem zweiten Spielfilm seinen Status als Meister der Komödie. So sei dieser Film all jenen Leuten ans Herz gelegt, die fernab von pubertären Witzen und haarsträubenden Zoten einmal wieder herzhaft Lachen möchten und darüber hinaus etwas Filmkultur tanken wollen. Zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen und vielleicht beobachtet man bei seinem nächsten Urlaub seine Mitreisenden doch viel genauer. Zurecht ein meisterliches Werk. (9/10)
1 Kommentar:
Geniale Rezension. Nur eins: bitte, bitte mehr davon!
Jay
Kommentar veröffentlichen