Mittwoch, November 24, 2010
Das Schweigen des Meeres
Auf den ersten Blick mag Jean-Pierre Melvilles Le Silence de la Mer ein wenig atypisch wirken, wurde Melville doch vor allem aufgrund seiner Gangsterfilme wie zum Beispiel Le Samouraï (1967) oder Le Cercle Rouge (1970) bekannt. Doch auch das Thema Résistance ist in seinen Filmen präsent, vor allem in L’Armée des Ombres und eben jenem Film, um den es in diesem Text geht. Dabei ist Le Silence de la Mer nicht nur aufgrund seines Inhalts von großem Interesse, es ist auch die Entstehungsgeschichte und die Bedeutung für das Filmland Frankreich als Solches, die diesem Film einen Platz in den Annalen eingebracht hat.
Unabhängig und gegen den Willen der Filmgewerkschaften gedreht, ebnet Melville so auch den Weg für die Nouvelle Vague, wenngleich er Ende der 40er Jahre erst einmal genug Probleme damit hatte, den Film überhaupt machen zu können bzw. zu dürfen. Die Geschichte basiert nämlich auf einem Roman des Schriftstellers Vercors, der zur Zeit der Okkupation Frankreichs im Untergrund veröffentlicht wurde. Melville, selbst Mitglied der Résistance, hatte große Schwierigkeiten, Vercors‘ Einverständnis zu bekommen. So schlug Melville vor, den fertigen Film einer Gruppe ehemaliger Résistancemitglieder, darunter auch Vercors, zu zeigen und diese sollen dann entscheiden, ob der Film werkgetreu ist und aufgeführt werden kann. Es wurde für den Film votiert.
Die Geschichte selbst spielt in einem kleinen französischen Dorf im Jahr 1941. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht werden diverse Wohnhäuser requiriert, damit diese als Offiziersunterkünfte dienen können. Eines jener Häuser wird von einem Onkel (Jean-Marie Robain) und seiner Nichte (Nicole Stéphane) bewohnt. Als unbeliebter Untermieter zieht der deutsche Offizier Werner von Ebrennac (Howard Vernon) ein. Jeden Abend, erst zögerlich, später dann aber wie selbstverständlich, gesellt sich von Ebrennac zu den beiden Hausbewohnern vor dem Kamin, um in ausführlichen Monologen, seine Weltsicht darzulegen und seine Liebe zu Frankreich zu gestehen. Als Zeichen des Widerstands wechseln der Onkel und die Nicht kein Wort mit von Ebrennac und hören schweigend zu. Die Szenerie ändert sich jedoch, als von Ebrennac Urlaub in Paris macht und sich dort mit alten Kameraden trifft, die seine frankophile Ader nicht nur nicht teilen, sondern auch davon sprechen, wie alles Französische nach dem Endsieg vernichtet werden soll. Um nicht selbst Teil dieser Maschinerie zu werden, meldet sich von Ebrennac nach seiner Rückkehr in das Haus des Onkels freiwillig zur kämpfenden Truppe.
Stille, das ist das zentrale Thema der Geschichte, und so betritt Melville bei der Adaption des Stoffes auch Neuland, indem er einen Großteil der vom Onkel gesprochenen Dialoge als Gedanken aus dem Off sprechen lässt. So gibt es während des Films immer wieder Szenen, in denen das Schweigen zwischen dem Onkel und der Nichte auf der einen, und von Ebrennac auf der anderen Seite die Spannung in den Höhepunkt treibt. Untermalt werden diese Momente meist durch das schonungslose Ticken der Wanduhr. So ist es vor allem das Spiel mit dem Schweigen und den Hintergrundgeräuschen, das der Szenerie einen unverkennbaren Charakter gibt und die Distanz zwischen den Charakteren verdeutlicht. Und doch merkt man im Verlauf, dass sich der Onkel und der Offizier gar nicht so unsympathisch finden, ertappt sich der Onkel immer wieder dabei, wie er die Monologe von Ebrennacs genießt. Es ist im Grunde schon interessant, welch differenziertes Bild hier von von Ebrennac gezeichnet wird. Man zeigt einen rationalen deutschen Offizier und das vor dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs, der auch im Film omnipräsent ist und an verschiedenen Stellen erwähnt und angedeutet wird – speziell beim Besuch in Paris. Auch die (passive) Rolle der französischen Bevölkerung bietet Raum für Interpretationen.
Schwenkt man wieder auf die filmische Ebene zurück, so kommt man nicht umher, die Kameraarbeit Henri Decaës zu loben, dessen Ausleuchtung der Szenen fürwahr meisterlich ist. So treiben die gezeigten Bilder den Film allein voran, ohne dass man viele Worte verlieren muss. Oft sind es kleine Gesten, Bewegungen, die viel über den Zustand der Charaktere preisgeben, wenn z.B. die Nichte beim Stricken ist und es eine Großaufnahme ihrer Hände gibt. Trotzdem ist es am Ende ein Wort, welches den emotionalen Höhepunkt des Films beschreibt. Ein sanftes „Adieu“, als von Ebrennac die Beiden verlässt und sie genau wissen, welch Schicksal den Offizier ereilen wird.
Die Größe Le Silence de la Mer in Worten auszudrücken, ist nahezu unmöglich, da man ihn gesehen haben muss, um seine Bedeutung für das französische Nachkriegskino zu verstehen und der Film unterstreicht darüber hinaus, mit welch einem Talent Melville gesegnet war, um so früh in seiner Karriere solch ein Werk abliefern zu können: 09/10.
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3 Kommentare:
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